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der Schamane

Sie blickte weiter den Himmel an.

Ich blickte nach oben, weil ich mich des Gedankens nicht erwehren konnte, dass da doch etwas sein mussst.

Ein paar Wolken waren stumm hängen geblieben, als wollten sie beobachten, was hier unten noch passierte. Vögel (ich konnte nicht erkennen, welche) flogen hoch oben vorbei. Der Himmel war leicht grau, es war April und hatte geregnet vormittags.

Ich hatte Stunden damit zugebracht, den Himmel nach Vögeln abzusuchen; ein herrlich entspannendes Hobby, kann ich ihnen sagen. Aber heute konnte ich mich nicht darauf konzentrieren. Wo sonst Gedanken langsam niedersanken, herrschte wirres Treiben und es fühlte sich an, als sei der Himmel heute genau das falsche zum betrachten. Also sah ich zu Clara hinüber. Unter ihren Augen bemerkte ich das erste Mal die schwarzen Schatten von zu wenig Schlaf. Sie blickte ruhig hinauf. Es war kalt, Wind bog hinter der Scheune ab auf uns zu und es fröstelte mich zusehends. Mein Blick schweifte von ihr ab und überblickte das Feld und die nahe Strasse.

Rechts von uns bewegte sich eine Gestalt. Sie trat hinter der Scheune her und wedelte mit etwas, das aussah wie ein Wanderstab. So ein knorriger, dunkelbrauner, ehemaliger Ast mit verdicktem Knauf, den man in Bergregionen gern den Touristen als Souvenier aufschwatz. Die weite Jacke der Gestalt bauschte sich hinter ihr im Wind. Es wirkte ein bißchen wie ein Schamane, der den Suchenden auf Abenteuer den entscheidenden Hinweis bringen will, nachdem sie sich hoffnungslos in den verschneiten Bergen verirrt haben. Ich blickte zu Clara und bemerkte nichts. Die Gestalt kam zielstrebig auf uns zu. Ich war wie gebannt und vergaß alles um mich herum. Das Feld war vermutlich weiterhin windig und lag grün unter uns. Der Himmel blieb grau, die Wolken hielten den Atem an. Ich weiß es nicht.

Der Schamane winkte mit seinem Stab und ich wollte ihn ansprechen; konnte es aber nicht. Wie unter Drogen vergaß ich die Zeit und sehe ihn auf uns zu wanken, den Matsch und den feuchten Morast ignorierend kam er bis auf ein paar Schritte heran. Ich bemerkte seinen gelassenen Blick. Er fixierte mich damit und stellte sich breitbeinig vor mich hin. Ich spürte den Wind auf meinem Gesicht, die Kälte, die sich von den Beinen langsam aber sicher herauf zog, die freundliche Scheune und das klamme Gras. Es fühlte sich verloren an, wo ich hier her geraten war.

Dann erinnere ich mich daran, wie er zu schlug. Ich bemerkte, die wunderliche Dynamik des Schlages, der aus dem ständigen Gewedel mit dem Knopelholz heraus idealtypisch und mit voller Wucht daher kam. Leider auf meinen Kopf. Meine Augen wandten sich Clara zu, schafften es aber nicht mehr rechtzeitig bis zu ihr. Die Lider senkten sich, bevor die Pupillen sie eingefangen hatten.

Dunkel wehte der Wind weiter von der Scheune her. Es rauschte in meinem Schädel, und hallte. Die Wolken zogen vorbei, groß und voller Nebel. Kühl war es hier.

 Uwe Hofschröer, 25.11.2001 weiter
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