Der Schneemann

 

18.01.2001

Und weil der Schmerz im Knie sich auch auf Bruno konzentrierte, arrangierte man sich. Es war nicht direkt das, was man als Symbiose bezeichnet, aber immerhin eine enge Beziehung. Wenn auch nicht so ganz klar war, was die beiden von sich hatten, ein nettes Paar waren sie doch.

Wie bei so vielen Paaren, wirkt die äußerlichen Idealform mißverständlich. Unter der Oberfläche brodelt es, vor allem in Bruno, der sich mit seiner Rolle in dieser Zweisamkeit nicht so recht abfinden wollte. Es störte ihn, dass der Schmerz selbstgenügsam und pflichtversessen vor sich hin machte und den Kompromissgedanken kaum weiter als bis zum nächsten Schlag verfolgte. Bruno hingegen war ganz Kompromiss und gab sich lange Zeit alle ihm eigene Mühe, die Beziehung dadurch zu retten, dass er den unterwürfigen Anteil alleine übernahm. Das konnte natürlich nicht sehr lange gut gehen, die Leidensfähigkeit aller Lebewesen ist bekanntlich beschränkt und irgendwann hatte Bruno seinen Speicher an gutmütiger Gleichgültigkeit entleert, bei dem Versuch, ein verständnisvoller Partner zu sein. Ein Beben ging durch seinen Körper. Er stemmte sich mit aller ihm verbliebenen Gewalt gegen die Starre und den Schmerz und dieser heulte auf, weil er mitbekam, was ihm drohte. Und wer. Dieser kleine unförmige Haufen, der vor momenten noch die Ruhe war, der perfekte Haufen Kautschuk, auf dem man herumhämmern konnte nach Herzenslust. Aber es schienen sich Verformungen abzuzeichnen, der Haufen wehrte sich. In einem umfassenden Geplänkel wurden Schneeplatten zur Seite geworfen und Bruno furchte Abdrücke seiner Extremitäten in den Belag, schob und schnaubte sich hoch. Wie bei jeder guten Trennung blieb der Schmerz noch ein bisschen, versuchte weiter Aufmerksamkeit zu erhaschen und und änderte den Rhytmus, um zu zeigen, wie interessant er im Grunde war. Bruno störte das, er hätte es besser gefunden, wenn er weiter machen könnte, als sei nichts gewesen. Das ging nicht, aber es ging halt anders. Der Boden unter ihm wirkte wie ein Schlachtfeld, es lagen kleine Brocken Schnee herum, ein abgerissener Knopf war in den Boden gerammt, Holzsplitter vom Zaun wiesen Materialschäden nach, von Zwischenfällen, die weit weg schienen. Über all dem erhob sich Bruno. Er stand etwas verlegen in der Dunkelheit und lugte wieder zu dem Licht am Haus herüber. Sein Fall hatte ihn aus dem Lichtkegel katapultiert, der neben ihm immer noch unaufdringlich und verlockend den unverwüsteten Halbkreis der weißen Fläche beschien. Da musste er hinkommen. Ein pathetischer Gedanke für jemanden, der nur zwei oder drei Schritte entfernt steht. Aber er hatte ihn nun mal, also was soll's.

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