Der Schneemann

 

07.02.2001

Warum fand sich Bruno dann irgendwann in der kleinen Strasse wieder, vollgeschneit bis unter die Nase, dass man ihn kaum noch ausmachen konnte in dem ganzen lustigen Gestöber?

Der Tipp stammte von einem Man in der Bus, mit dem Bruno Osnabrück verlassen hatte. Nach Osnabrück war er irgendwie hineingeschlittert. Nicht nur, dass das Wetter den Tag zuvor ziemlich kalt geworden war und jetzt ununterbrochen Schnee fiel. Die Wege waren anständig mit einer gräulich-weißen Patina überzogen, die sich gegen Verkehr gut behaupten konnte, weil es nicht an Nachschub mangelte. Alles war ein bisschen schmierig, Bruno kam per Anhalter in einem alten Golf und wusste nicht so recht, ob er froh sein sollte. Ein leicht untersetzter Mitzwanziger hatte ihn aufgelesen, wie er so am Straßenrand stand und kurz davor war, sich in einen Schneehaufen zu verwandeln. Die anderen Vorbeifahrenden hatten wohl nicht mal Lust anzuhalten, so fieses Wetter war es. Jetzt beschmähte der guten Geist neben ihm aber ununterbrochen das Wetter, den zuständigen Wettergott oder das Klima. In wechselnder Reihenfolge und schlug dabei immer wieder Trommelsoli auf sein Lenkrad mit Lederschutz. Es roch nach kalten Zigaretten, die Heizung blies schale Luft in den kleinen Innenraum. Bruno teilte sich mit dem rumliegenden Müll, der sauerstoffentzogenen Luft und einer erheblichen Anzahl ausladender Gesten den Platz und hatte das Gefühl, dabei nicht besonders gut wegzukommen. Zu allem Unglück fürchtete Bruno noch, die Geschwindigkeit, mit der sie sich ihrem Ziel näherten, war der Wetterlage und dem schmierigen Untergrund nicht angemessen. Also war er froh, in Osnabrück am Bahnhof raus zu können. Bei aller Dankbarkeit für die Mitnahme regte der Fahrstil und die Umstände, unter denen er ertragen werden wollte, nicht dazu an, besonders dankbar zu sein. Eher erleichtert.

Bruno fragte sich, was wohl die Erwartungen bestimmt, die man an eine Stadt hat. Also an eine fremde. Osnabrück schien eine gute Umgebung zu sein. Besser als die, aus der er gerade kam. Die Luft roch nicht übermäßig nach verbrauchter Großstadt, wenig Benzin und die Menschen, die er sehen konnte, schienen nicht wirklich gestresst zu sein oder mehr Termine zu haben, als man in einem Tag unterbringen konnte. Trotzdem wurde er nicht richtig warm mit dieser Stadt. Es war dunkel und nichts schien ihn einzuladen, sich damit zu beschäftigen. Fasziniert blieb er vor einem Hotel stehen, in dessen Fenster Vorhänge aus Lichterketten eine verzauberte Welt hinter einem Wasserfall aus Licht vermuten ließen. Er ging hinein, wurde aber auch hier nicht recht fündig. Ein Kribbeln im Magen hatte sich ohnehin nicht eingestellt. Nicht, als er davor stand und drinnen schon gar nicht. Die Einrichtung war angenehm war, die Kellnerinnen jung und freundlich, soweit in Ordnung. Aber auch von einer dienstlichen Gleichgültigkeit, die verhältnismäßig wenig mit verwunschenen Zeichen etc. zu tun hatte. Die Prominentenautogramme an den Wänden machten das nicht besser.

Damit hatte Osnabrück seine Schuldigkeit getan. Das Hotel lag direkt am Bahnhof und Bruno schlenderte nach einem wärmenden Schwarztee durch die hallenförmigen Bögen des Busbahnhofs und suchte ein Ziel. Der erste Bus fuhr über "Belm" und "Icker" nach "Hunteburg", das hörte sich nicht wirklich nach einem guten Plan an. Es gab zwar sicher nichts über solche Orte zu sagen, aber in großen Geschichten kommen sie vermutlich auch nicht vor. Das hörte sich beim nächsten schon etwas besser an. Die Stationen waren "Wallenhorst", "Fürstenau", "Geeste" bis "Meppen". Diese Kombination hatte auch noch keine Hauptrolle in einem großen Kinofilm gespielt, aber es wurde zu kalt um auf besseres zu warten. Die Mischung aus vielversprechenden Namen und einem frierenden Schatten, der das Denken zu lähmen droht, machte es.

Bruno bestieg den Bus und kaufte eine Karte bis Meppen. Wenn schon, denn schon.

Es waren kaum Fahrgäste da, eine Handvoll sorgfältig in der Weite der Sitzplätze verteilte Gestalten, die sich in dicke Mäntel und Mützen gehüllt hatten, um im öffentliche Personennahverkehr am Samstag Abend nicht erkannt zu werden. Eine andere Erklärung fiel Bruno nicht ein, denn die Heizung lief und wärmte den Bus innerlich. Ein paar Stationen später hatte auch Bruno sich wieder gewärmt und der Mann mit dem Tipp stieg ein. Er hieß Stoffel, so stellte er sich jedenfalls vor, als er sich in die Reihe vor Bruno setzte und sich gleich umdrehte, um Bruno seine Gesellschaft anzubieten. Das untermauerte er mit einer unzähligen Reihe von Geschichten. Er erinnerte Bruno an einen Kettenraucher, der unaufhaltsam den Rauch immer neuer Zigaretten in die Luft bläst. Doch manchmal kann man dabei einen zufälligen Kringel entdecken und das Schauspiel genießen. Dann ist das Sitzen und warten was wert, man bekommt etwas für seine Geduld und wenn man es schafft, den Kringel festzuhalten (im Geiste, alles andere muss scheitern, versteht sich), kann man sogar etwas davon mitnehmen.

Bruno nahm eine Bemerkung mit, die in einer der Geschichten vorkam. Als er einst in Lingen gewesen war, hatte er eine Nacht damit zugebracht, auf Zeichen am Himmel zu warten, entwich Stoffel zwischen einem wiederbeschworenen Saufgelage zu Schulzeiten und der Versicherungskaufmannslehre später. Im Sommer sei das gewesen und er und ein Kumpel hätten auf eine Straße etwas abseits gelegen und die Sterne beobachtet. Da habe es nach ein paar Stunden fast so ausgesehen, als könne man was aus den vielen Punkten im Himmel lesen. Sie sahen aus wie diese Bilder, deren nummerierte Punkte man zu einem Bild verbinden kann. Ein großes Bild. Nicht die kleinen Sternbilder aus zwei oder acht Sternen. Nein, ein großes überwältigendes Prickelbild mit abertausenden kleiner Punkte, die jemand mal in das schwarze Tonpapier oben hineingestochen hatte.

Bruno fragte sich, wie viel der gute Stoffel wohl an diesem Abend vorher getrunken haben mochte. Wie viel Schnaps benötigte man, um sich an einen Abend in den Kindergarten, zu Prickelstiften und Tonpapier zurückversetzen zu können. Und wer gab dann die Kindergärtnerin? Aber der Gedanke ließ ihn nicht recht los. Es war die einzige Geschichte, der er wirklich zugehört hatte, also nicht nur mit den Ohren. Sein ganzer Körper hatte geklungen, ein bisschen nur, leise, irgendwo tief drinnen. Das konnte er nicht wirklich ignorieren und darum stieg er in Lingen aus. Hier schien es was zu geben, was sogar Stoffel bemerkt hatte, wenn auch erst, nachdem er ordentlich was geladen hatte.

Dummerweise fiel ihm erst draußen wieder ein, dass nicht Sommer war. Dicke Schneeflocken zogen an dem Loch vorbei, dass ihm seine Mütze zum hinausschauen freigab.

Das musste reichen, um sich umzuschauen.

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