Der Schneemann

 

15.02.2001

Das mit dem Umschauen war dann die erwartet schwere Sache. Es schien in diesem Lingen nicht wirklich viel zu geben, das dem Wind die Gelegenheit nehmen könnte, umherzupfeifen und sich in die Glieder von umherwandernden Suchern zu fahren. Nach ein paar Minuten, war die Wärme, die er sich im Bus angespart hatte, wieder weg. Es blieb ihm nichts übrig, als durch die ihm angebotenen Temperaturen zu wandern und nicht gar zu oft stehen zu bleiben. So richtig warm wurde einem dabei dann aber auch nicht. Der Abend kam ziemlich beiläufig über Bruno herein. Seine Aufmerksamkeit war irgendwie mit frieren beschäftigt und die gelegentlichen Blicke in die Runde, an den Häusern vorbeit, über den Himmel, kosteten schon Überwindung. Er konnte seinen Hals nur mühsam drehen, der war von der wie der Rest von Bruno auch, fast eingefroren und dazu noch mit dem dicken Schal fixiert. Also musste er stehen bleiben und sich ganz umdrehen, wenn er auch einen ganzen Rundumblick haben wollte. Die blieben dann häufiger auch aus, und das Umsehen in Lingen blieb auf ein den Temperaturen geschuldetes Maß beschränkt. Nur kann man, wenn man auf einer verzwickten Suche ist, bei der die Hinweise nicht direkt und in schönen regelmäßigen Abständen auf der Strasse zu finden sind, auf diese Art nicht wirklich hoffen, etwas zu finden. In der Dunkelheit, in einer Stadt auf dem Land, die man nicht kennt und in der nicht allzu viele Schilder stehen, auf denen Hinweise zu verschollenen Brüdern beworben werden, schon gar nicht. Höchstens durch Zufall. Nicht aber durch Hinweise von Ex-Besoffenen, die das Betrachten von Sternen für ein paranormales Erlebnis halten. Bruno wurde bitter und zynisch.

Das Laufen wurde dankbarerweise irgendwann zu einer Selbstverständlichkeit. Anfangs, als die Wärme aus dem Bus sich noch verzweifelt an Bruno klammerte und seine Knochen schmerzten, weil sich die Kälte auf sie geworfen hatte und die Reste von Behaglichkeit aus ihnen vertreiben wollte, musste jeder Schritt einzeln getan werden. Mühsam und lange war jeder Schritt, das Heben der Füße, die Schuhe fühlten sich unförmig an, das alles machte keinen Spass. Er dachte an Sommer, an gemähtes Grass, an Vögel und Spazierengehen. Nur hatte das mit seiner Situation jetzt gar nichts zu tun. Das Laufen hier und der Spaziergang schienen nicht mal in eine ähnliche Bewegungskategorie zu gehören. Weeeeiter, noooch eeeiiinen, und noooch maaal. Das hörte irgendwann auf. Vielleicht war das Nachdenken über die Mühsal zu anstrengend geworden. Er brauchte jedes Jota Energie in den Muskeln, bei denen er den Eindruck hatte, er könne jede Faser spüren, wenn sie benutzte und sie würde kreischen dabei. Das hätte er wohl nicht mehr lange mit gemacht. Es ging zu zäh, als dass man sich dagegen hätte auflehnen können. Die Langsamkeit schläferte ein. Irgendwann wäre er über etwas herumliegendes, einen Bordstein vielleicht gestolpert und liegen geblieben. Aber wie gesagt, irgendwann wurde das Laufen selbstverständlich. Wie bei einem Reflex wurde der Umweg über das Denken ausgelassen und das Kreischen in den Muskeln, das Schaben der Gelenke fand ohne Bruno statt. Besser so, wenn man noch weiter kommen will.

Also taperte er weiter. Kleine Schritte machten kleine Fussabdrücke auf der Schneedecke und darüber verschwand der Rest Tageslichts klammheimlich in den Süden. Das Licht ging aus, schien es. Bruno stapfte mechanisch durch Vorstädte jetzt, der Unterschied zu den Häusern in der Stadtmitte war aber nicht zu groß, so bemerkte er es nicht. Es war nicht auffallend genug, als dass es seinen umgangenen Verstand hätte aufschrecken können. Und warum auch? So war es besser, die kleinen Häuser, mit ihren Vorgärten und Garagen passten besser zu ihm, sie ließen ihn nicht so verloren wirken. Sofern das überhaupt geht, wenn man bedenkt, wo er herkam und was er in dem Moment gerade tat und wie es um ihn herum aussah. Die Vorstadt gab sich aber Mühe mit ihm.

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